75 Jahre Atomschlag: Die Schicksale
"Das Feuer kam immer näher. Doch was ich auch tat, ich konnte meine Tochter nicht befreien." Ein Auszug aus dem Tagebuch von Shige Hiratsuka. Eines von vielen Schicksalen.
JAPAN Der ROFAN-KURIER hat einige Schicksale aus der Zeit des Atomschlages zusammengetragen:
"Mami, es ist so heiß"
Etwa einen Kilometer von der Abwurf-Stelle wird das Haus von Shige Hiratsuka von der Druckwelle zerschmettert. Ihr Mann und sie können sich aus den Trümmern befreien, sie rufen nach ihren Kindern.
"Ich entdeckte meine vierjährige Tochter Kazu, von der Brust abwärts in den Trümmern. Das Feuer kam immer näher. Ich konnte sie nicht befreien. 'Mami! Es ist so heiß!', schrie sie! Aber ich konnte die Hitze und den Schmerz nicht mehr ertragen. 'Mami, geh nicht weg! Es tut so weh!', schrie sie wieder. Ich weinte und musste ihr sagen, dass ihre Mutter nicht den Mut hatte, mit ihr zu sterben." Als Shige und ihr Mann in einem Lazarett unterkommen, nehmen die Ärzte eine Blutprobe von ihm. Doch der Einstich schließt sich nicht mehr. Er verliert viel Blut. Auf seiner Haut hatten sich violette Flecken gebildet, er erbracht eine braune Flüssigkeit. Wenig später verliert sie auch ihn…
Akiko Takakura war nur 260 Meter von der Abwurfstelle entfernt. "Mein Körper wurde herumgeschleudert, als wäre er aus Papier." Die damals 17-jährige ist vermutlich der einzige Mensch, der so nahe am Zentrum überlebt hat. Sie und ihre Freundin waren damals als erste zur Arbeit in die erdbebensichere Bank-Filiale gekommen. "Wir waren eine Zeit lang bewusstlos, überall zerschunden. Glasscheiben waren gebrochen, hatten sich in Geschoße verwandelt und sich in unsere Haut gebohrt. Asl wir uns nach draußen schleppten, war alles voller Leichen. Eine Woche später starb meine Feundin."
Kinuko Laskey, Krankenschwester: "Nach der Explosion war meine Kleidung mit Galsscherben an meinen Körper geheftet. Überall Verbrennungen. Ich schleppte mich zum Teich hinter der Praxis, in der ich arbeitete und wollte mich kühlen. Auch andere wollten das und lagen bereits im Wasser. Die, die nachdrängten, schleppten sich über sie hinweg. Die darunter ertranken. Es ertranken so viele, bi der Teich voll war mit Leichen. Ich träume heute noch davon."
Masako Kamamura: "Einige Stunden nach der Explosion kamen Züge in die Stadt und fuhren so weit sie konnten in Richtung Zentrum. Die Menschen, die sich noch bewegen konnten, schleppten sich wie Schlafwandler zu den Waggons. Die Haut hing ihnen wie Fetzen vom Körper und aus ihren Wunden tropfte Flüssigkeit. Viele waren schon tot, auch wenn sie es noch nicht wussten."
Shuntaro Hida, Militärarzt: "Ich lebe, weil mich ein hartnäckiger Bauer in der Nacht zuvor auf seinem 6 Kilometer entfernten Hof holte, um nach seiner kleinen Tochter zu sehen. Ich übernachtete dort. Am nächsten Morgen sah ich diesen furchtbaren Feuerball über der Stadt. Unbedeckte Haut wurde brennend heiß, dann diese pilzförmige Wolke und eine Druckwelle, die den Hof des Mannes beinahe komplett zerstörte." Der Arzt nimmt ein Fahrrad und fährt in Richtung Stadt. "Auf halbem Weg begegnete mir eine Gestalt, von oben bis unten schwarz und verkohlt. Sie hatte kein Gesicht mehr, keine Nase. Vor mir stolperte das Wesen. Ich erschauderte. 'Reiß dich zusammen! Fühl den Puls!', sagte ich mir. Als Arzt fühlt man immer zuerst den Puls. Ich fasste nach dem Arm, aber es war keine Haut mehr da. Nur noch verbranntes Fleisch. In diesem Moment starb dieser Mensch, nachdem er blind 3 Kilometer weit geflüchtet war."
Die für die Berichterstattung verwendeten Daten stammen vom historischen Archiv des ORF, der Österreichischen Nationalbibliothek, dem Hiroshima Peace Memorial Museum sowie dem Nagasaki Atomic Bomb Museum. Wir danken für die Unterstützung.